Die Legende auf dem Sterbebett
Das Ende 1945 in Betrieb genommene Estadio Insular, nach etlichen Erweiterungen mit einem Fassungsvermögen von 22000 Besuchern ausgereizt bis zum Gehtnichtmehr, ist ein Objekt historischer Erinnerungen aller Canarios. Das Publikum war oft für ein Tor gut, presste die Kugel förmlich ins gegnerische Netz. Einen Heidenspaß machte es, wenn vor über 20000 positiv verrückten Anhängern der ungeliebte Nachbar CD Teneriffa nach Herzenslust vorgeführt wurde. Vergleichbar mit einem Sieg von Rot-Weiß Essen über Schalke. Da kamen dann sogar spezielle Erinnerungstrikots in den Verkauf. So schön war das. Die letzte echte Sternstunde erlebte die Heimstätte von UD Las Palmas in der Abstiegssaison 2001/2002, als die Startruppe von Real Madrid eine 4:2‑Demütigung erfuhr.
Aus und vorbei. Der Ist-Zustand an der Calle Pio XII im Zentrum von Las Palmas hat traurige Züge und tut weh. Seit 2003 ist hier Feierabend. Die Legende siecht vor sich hin. Der Putz bröckelt mit erschreckender Konstanz, viele Sitzschalen sind herausgerissen, das einst satte Grün ist zu einer nach Wässerung lechzenden Wiese verkommen, das antike Gemäuer mit Schmierereien verunstaltet. Die im Stadion beheimateten Ladenlokale (u. a. Fanshop, Buchhandel, Gaststätte) stehen leer und scheinen von einer Neueröffnung so weit entfernt wie UD Las Palmas von der Champions League.
Kühler Zweckbau statt Hexenkessel
Vor vier Jahren ist UD Las Palmas ins Estadio de Gran Canaria umgezogen, das mit einer Kapazität von 32000 Zuschauern das größte der Kanarischen Inseln ist. Die Arena liegt recht weit außerhalb und wird auch für Konzerte genutzt. So traten hier u. a. bereits Bryan Adams und Shakira auf. Freilich steht das neue Domizil im krassen Gegensatz zum Estadio Insular. Ein moderner, aber recht kühler Zweckbau ohne rechten Charme. Dem allerletzten Schrei der Stadionmode wird der Komplex ohnehin nicht gerecht, weil die Laufbahn als Stimmungsbremse wirkt. Die Karten für den Bau einer puren Fußballarena waren denkbar schlecht, zumal der Club seinerzeit enorm verschuldet war und durch höchst unseriöse Aktivitäten hinter den Kulissen für erhebliche Unruhe sorgte.
Das Estadio Insular, das emotionale Erinnerungsstück, wollten einige Politiker sogar ganz plattmachen und die Fläche einer gewerblichen Nutzung zuführen. Allerdings funkte Lorenzo Olarte, Ex-Präsident der Regierung der Kanarischen Inseln, gerichtlich dazwischen und konnte den Abriss gerade noch stoppen. Im Mai hat es in Las Palmas den erwarteten politischen Wechsel gegeben. Zeigt die neue Stadtspitze etwas mehr Herz fürs Estadio Insular? Dem Vernehmen nach soll die alte Fassade nun doch erhalten bleiben und nur der Innenteil zu einem Sport- und Freizeitzentrum umgebaut werden. Dies wäre ein Erfolg für Oppositionsparteien und Anwohner, die sich massiv gegen den Abriss des alten Gemäuers eingesetzt haben.
Manfred Sander, Geschäftsmann im Süden der Insel, vertritt eine konträre Auffassung: „Es gibt viel wichtigere Dinge als den Erhalt dieses Stadions.” Der gebürtige Duisburger, der übrigens 1999 am Transfer von Marco Haber zu UD Las Palmas mitbastelte, denkt noch mit Schrecken an völlig unzureichende Parkmöglichkeiten sowie Sicherheitsdefizite.
„Que lastima!”
Das muntere Rentner-Trio, das derweil auf der Parkbank vor dem Stadion hockt, blickt leicht verklärt auf das heruntergekommene Objekt. Alle drei waren zigmal vor Ort, haben gejubelt, gelitten, sich geärgert. „Que lastima!” (Wie schade!), sagt einer, während sein direkter Nachbar eine abwertende Handbewegung macht und etwas von „Politikum“ grantelt. Der Dritte im Bunde meint, wenn der Verein wieder bessere Zeiten erlebe, wäre auch eine komplette Restaurierung wahrscheinlic
her.
Unter der umsichtigen Führung von Präsident Miguel Angel Ramirez geht es mittlerweile wenigstens vorsichtig bergauf. Die zwei Jahre andauernde Maximalfolter in der 3. Liga mit Punktspielen gegen das B‑Team von Atletico Madrid sowie gegen namenlose Provinzclubs ist beendet. 2006 glückte die Rückkehr in die Segunda Division A; gerade wurde der Klassenerhalt gesichert. Sogar einige begeisternde Heimauftritte wie beim 6:1 über CD Alaves glückten. Aber diese enge, hitzige Atmosphäre wie einst im alten Estadio Insular, wo das Herz des Fußball-Romantikers höher schlug, wird es nie mehr geben.
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In der Bildergalerie: Impressionen des Verfalls
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