Die Legende auf dem Sterbebett

Publish date: 2024-11-22

Das Ende 1945 in Betrieb genom­mene Estadio Insular, nach etli­chen Erwei­te­rungen mit einem Fas­sungs­ver­mögen von 22000 Besu­chern aus­ge­reizt bis zum Geht­nicht­mehr, ist ein Objekt his­to­ri­scher Erin­ne­rungen aller Cana­rios. Das Publikum war oft für ein Tor gut, presste die Kugel förm­lich ins geg­ne­ri­sche Netz. Einen Hei­den­spaß machte es, wenn vor über 20000 positiv ver­rückten Anhän­gern der unge­liebte Nachbar CD Tene­riffa nach Her­zens­lust vor­ge­führt wurde. Ver­gleichbar mit einem Sieg von Rot-Weiß Essen über Schalke. Da kamen dann sogar spe­zi­elle Erin­ne­rungs­tri­kots in den Ver­kauf. So schön war das. Die letzte echte Stern­stunde erlebte die Heim­stätte von UD Las Palmas in der Abstiegs­saison 2001/2002, als die Star­truppe von Real Madrid eine 4:2‑Demütigung erfuhr.

Aus und vorbei. Der Ist-Zustand an der Calle Pio XII im Zen­trum von Las Palmas hat trau­rige Züge und tut weh. Seit 2003 ist hier Fei­er­abend. Die Legende siecht vor sich hin. Der Putz brö­ckelt mit erschre­ckender Kon­stanz, viele Sitz­schalen sind her­aus­ge­rissen, das einst satte Grün ist zu einer nach Wäs­se­rung lech­zenden Wiese ver­kommen, das antike Gemäuer mit Schmie­re­reien ver­un­staltet. Die im Sta­dion behei­ma­teten Laden­lo­kale (u. a. Fan­shop, Buch­handel, Gast­stätte) stehen leer und scheinen von einer Neu­eröff­nung so weit ent­fernt wie UD Las Palmas von der Cham­pions League.

Kühler Zweckbau
statt Hexen­kessel

Vor vier Jahren ist UD Las Palmas ins Estadio de Gran Canaria umge­zogen, das mit einer Kapa­zität von 32000 Zuschauern das größte der Kana­ri­schen Inseln ist. Die Arena liegt recht weit außer­halb und wird auch für Kon­zerte genutzt. So traten hier u. a. bereits Bryan Adams und Shakira auf. Frei­lich steht das neue Domizil im krassen Gegen­satz zum Estadio Insular. Ein moderner, aber recht kühler Zweckbau ohne rechten Charme. Dem aller­letzten Schrei der Sta­di­on­mode wird der Kom­plex ohnehin nicht gerecht, weil die Lauf­bahn als Stim­mungs­bremse wirkt. Die Karten für den Bau einer puren Fuß­ball­arena waren denkbar schlecht, zumal der Club sei­ner­zeit enorm ver­schuldet war und durch höchst unse­riöse Akti­vi­täten hinter den Kulissen für erheb­liche Unruhe sorgte.

Das Estadio Insular, das emo­tio­nale Erin­ne­rungs­stück, wollten einige Poli­tiker sogar ganz platt­ma­chen und die Fläche einer gewerb­li­chen Nut­zung zuführen. Aller­dings funkte Lorenzo Olarte, Ex-Prä­si­dent der Regie­rung der Kana­ri­schen Inseln, gericht­lich dazwi­schen und konnte den Abriss gerade noch stoppen. Im Mai hat es in Las Palmas den erwar­teten poli­ti­schen Wechsel gegeben. Zeigt die neue Stadt­spitze etwas mehr Herz fürs Estadio Insular? Dem Ver­nehmen nach soll die alte Fas­sade nun doch erhalten bleiben und nur der Innen­teil zu einem Sport- und Frei­zeit­zen­trum umge­baut werden. Dies wäre ein Erfolg für Oppo­si­ti­ons­par­teien und Anwohner, die sich massiv gegen den Abriss des alten Gemäuers ein­ge­setzt haben.

Man­fred Sander, Geschäfts­mann im Süden der Insel, ver­tritt eine kon­träre Auf­fas­sung: Es gibt viel wich­ti­gere Dinge als den Erhalt dieses Sta­dions.” Der gebür­tige Duis­burger, der übri­gens 1999 am Transfer von Marco Haber zu UD Las Palmas mit­bas­telte, denkt noch mit Schre­cken an völlig unzu­rei­chende Park­mög­lich­keiten sowie Sicher­heits­de­fi­zite.

Que las­tima!”

Das mun­tere Rentner-Trio, das der­weil auf der Park­bank vor dem Sta­dion hockt, blickt leicht ver­klärt auf das her­un­ter­ge­kom­mene Objekt. Alle drei waren zigmal vor Ort, haben geju­belt, gelitten, sich geär­gert. Que las­tima!” (Wie schade!), sagt einer, wäh­rend sein direkter Nachbar eine abwer­tende Hand­be­we­gung macht und etwas von Poli­tikum“ gran­telt. Der Dritte im Bunde meint, wenn der Verein wieder bes­sere Zeiten erlebe, wäre auch eine kom­plette Restau­rie­rung wahr­scheinlic
her.

Unter der umsich­tigen Füh­rung von Prä­si­dent Miguel Angel Ramirez geht es mitt­ler­weile wenigs­tens vor­sichtig bergauf. Die zwei Jahre andau­ernde Maxi­mal­folter in der 3. Liga mit Punkt­spielen gegen das B‑Team von Atle­tico Madrid sowie gegen namen­lose Pro­vinz­clubs ist beendet. 2006 glückte die Rück­kehr in die Segunda Divi­sion A; gerade wurde der Klas­sen­er­halt gesi­chert. Sogar einige begeis­ternde Heim­auf­tritte wie beim 6:1 über CD Alaves glückten. Aber diese enge, hit­zige Atmo­sphäre wie einst im alten Estadio Insular, wo das Herz des Fuß­ball-Roman­ti­kers höher schlug, wird es nie mehr geben.


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In der Bil­der­ga­lerie: Impres­sionen des Ver­falls

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