Vom Strand in die Nationalmannschaft 11FREUNDE
Ein heißer Sommertag in Buenos Aires. Mit einer Handvoll guter Freunde und einem Ball ist Mateo Retegui auf dem Weg zum Strand. Sonnenbaden, Abkühlen im Meer, kicken mit den Jungs. Durch Zufall ist ein Scout des lokalen Top-Klubs in der Nähe und beobachtet die Kumpels beim bolzen. Sofort fällt ihm das fußballerische Talent von einem der Teenager auf. Er spricht den jungen Kerl an und lädt ihn zu einem Probetraining ein. Ein paar Jahre später wird aus dem Strandkicker ein Fußballprofi, ein Mittelstürmer und Torschützenkönig in Argentinien. Und nun auch ein Nationalspieler. Allerdings: für Italien. Hä?
Als Italiens Nationaltrainer Roberto Mancini im Vorfeld der ersten EM-Qualifikations-Spiele seinen Kader bekannt gibt, reiben sich viele Fußballfans verwundert die Augen. Denn auf der Liste steht der Name von Mateo Retegui, eines Spielers also, der in Europa kaum bekannt ist. Das liegt daran, dass Retegui bisher nur in Argentinien Fußball gespielt hat. Er spricht kein Wort italienisch, doch darf aufgrund seines italienischen Großvaters mütterlicherseits für die Squadra Azzura auflaufen. „Wir dachten, er würde nicht kommen wollen, aber er hat sofort zugesagt und wir haben ihn geholt“, so Mancini. Für Reteguis Zusage gibt es einen einfachen Grund: die Chance auf Spielpraxis. Während Argentinien mit jungen Top-Stürmern wie Lautaro Martínez und Julián Álvarez gesegnet ist, braucht Italien dringend Verstärkung im Sturm. Reteguis Vater sagte dazu: „Argentiniens Nationalmannschaft? Er wurde nur einmal für die U19 berufen und das war’s.“
Der Schlägertyp aus Argentinien
Der italienische Nationaltrainer hingegen vertraut seinem neuen Schützling von Anfang an und stellt Retegui bei seinem Debüt in die Startelf für das prestigeträchtige Duell mit England. Der Stürmer zahlt das Vertrauen zurück, nach 56 Minuten kommt er im Strafraum an den Ball, fackelt nicht lange und trifft. Italien verliert das Spiel mit 1:2, aber gewinnt eine neue Hoffnung für die Mittelstürmerposition. Retegui selbst sagt nach dem Spiel: „Ich bin nicht glücklich, weil wir ein sehr wichtiges Spiel verloren haben, aber ich freue mich über das Tor.“ Dem Debüttor soll drei Tage später gegen Malta das zweite Tor im zweiten Spiel folgen – ein wuchtiger Kopfball nach einer Ecke. Dabei war lange gar nicht klar, ob Stürmer überhaupt Fußball spielen will.
„Argentiniens Nationalmannschaft? Er wurde nur einmal für die U19 berufen und das war’s.“

Mateo Retegui wird am 29. April 1999 geboren. Er wächst in einem sportbegeisterten Umfeld auf. Sein Vater, Carlos Retegui, war professioneller Feldhockeyspieler und vertrat Argentinien dreimal bei den olympischen Spielen. Mittlerweile ist er Trainer der argentinischen Feldhockey-Nationalmannschaft. Sein größter Erfolg als Coach war die olympische Goldmedaille bei den Spielen 2016. Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm und so versuchte sich Mateo ebenfalls im Feldhockey, genau wie seine ältere Schwester, die mittlerweile Nationalspielerin ist. Mateo aber entscheidet sich für den Fußball und geht im Nachwuchs des argentinischen Traditionsverein River Plate seine ersten Schritte.
2016 ist bei seinem Jugendverein jedoch Schluss und er wendet sich wieder dem Feldhockey zu, nur um kurze Zeit später vom Erzrivalen von River Plate, den Boca Juniors, wiederentdeckt zu werden. Bei den Boca Juniors wird Retegui vom Mittelfeldspieler zum Stürmer umgeschult und durchläuft die Jugendauswahlen des Vereins. 2018 gibt er sein Profidebüt – er ersetzt in den Schlussminuten Carlos Tévez. Es sollte der einzige Pflichtspieleinsatz für Boca bleiben, es folgen zwei Leihen und mäßig erfolgreiche Stationen, bei denen Retegui jeweils viermal trifft.
In den höchsten Tönen gelobt
Eine erneute Leihe, dieses Mal zu CA Tigre, einem Verein aus Mateos Heimatprovinz Buenos Aires, bringt den Durchbruch. Von Anfang an ist Retegui bei seinem neuen Verein gesetzt und schießt Tore wie am Fließband. Am Ende der Saison 2022 liegt seine Torausbeute bei 19 Treffern aus 27 Spielen, und er wird Torschützenkönig der argentinischen Liga. Auch in der aktuellen Saison präsentiert sich Retegui treffsicher: In den ersten acht Spielen der neuen Spielzeit 2023 (die Saison in der argentinischen Liga beginnt im Januar) traf der 23-jährige bereits sechs Mal und führt die Torschützenliste an.
„Er erinnert mich an Batistuta, als er zum ersten Mal nach Italien kam“, sagte Roberto Mancini. Ein großes Lob für Mateo Retegui, der zumindest was den Torriecher betrifft Ähnlichkeiten zur Stürmerlegende aufweist. Neben seiner Kaltschnäuzigkeit besticht Retegui durch sein Kopfballspiel, seine Beidfüßigkeit und seinen Körperbau. Der 1,85-Meter-Mann hat aber auch noch Verbesserungsbedarf. Als klassischer Torjäger ist er oft nicht ins Spiel eingebunden und sein Passspiel ist ausbaufähig. So konnte Retegui im Laufe seiner Karriere erst drei Tore in der höchsten argentinischen Spielklasse auflegen. Potenzial ist aber definitiv vorhanden, auch wenn sein Vater mit Superlativen sehr großzügig umgeht und seinen Sohn mit Erling Haaland vergleicht: „Er spielt sehr ähnlich wie Mateo. Beidfüßig und sehr stark mit dem Kopf.“
Sehnsuchtsort Europa
Apropos Berater: Reteguis Agent war zwei Jahre lang kein Geringerer als Roma-Legende Francesco Totti. Die Zusammenarbeit endete im Sommer 2022, seitdem wird Retegui von seinem Vater beraten. Der übernimmt auch die Kommunikation mit den Medien und der Öffentlichkeit fast vollständig für Mateo.„Er äußerst sich momentan nicht, weil er sehr aufgeregt ist, aber fühlt sich geehrt, vom Europameister einberufen worden zu sein“, sagte Carlos Retegui im Interview mit der La Gazzetta dello Sport über das Schweigen seine Sohnes.
Angesprochen auf einen potenziellen Sommertransfer des 23-jährigen sagte sein Vater: „Ich kann versichern, dass ihn viele europäische Klubs beobachten. Europa ist sein Traum.“ Ein Traum, dem Retegui durch seine Tore im Italien-Dress ein gutes Stück näher gekommen ist, ein Traum, dem ihm etliche Vereine gerne erfüllen würden. Unter anderem sollen Eintracht Frankfurt, Bayer 04 Leverkusen, Atletico Madrid, West Ham United und einige italienische Klubs am Mittelstürmer interessiert sein. Nicht schlecht für einen, der als Teenager eigentlich nur ein wenig am Strand kicken wollte.
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