Dem Feld den Rcken gekehrt

Publish date: 2024-11-21

Zwi­schen 55 und 150 Euro zahlt in etwa, wer als Nicht-Dau­er­kar­ten­in­haber bei einem Bun­des­li­ga­spiel in den Zuschau­er­reihen sitzen möchte. Immerhin halb so viel muss für Par­tien der Zweiten Liga hin­ge­blät­tert werden – kein ganz bil­liges Ver­gnügen also. Immer wieder ver­wun­dert es da, dass Fans vor Spie­lende das Sta­dion ver­lassen. Alles Bla­sen­schwache? Wir haben nach­ge­forscht – und neun ver­schie­dene Typen gefunden.

Der Betrof­fene.
Hat fel­sen­fest an den Tri­umph seiner Mann­schaft geglaubt, bei der Hin­fahrt allen Anhän­gern des geg­ne­ri­schen Teams ins Gesicht gelacht und den kleinen Jungs aus dem Fanbus der anderen schon mal vor­sorg­lich Trost­bon­bons zuge­steckt. Die Begeg­nung steht seit Wochen rot umrandet in seinem Ter­min­ka­lender. Defi­niert sich so sehr über den Erfolg seiner“ Jungs, dass er bei einer Nie­der­lage zutiefst betrübt ist und ein­fach nur noch nach Hause will, weil er sich anders nicht imstande sieht, die Schmach zu ertragen. 
Zitat: Bitte lass mich.“

Der Pro­testler.
Ver­folgt jedes Spiel seines Ver­eins und weiß genau, was Spieler und Trainer hätten besser machen müssen. Begreift die Mann­schaft als Dienst­leister ihrer Fans, findet die aktu­elle Per­for­mance ganz und gar inak­zep­tabel und meint, die da unten das wissen lassen zu müssen, indem er seiner Ableh­nung durch vor­zei­tigen Abgang Aus­druck ver­leiht. Grinst im Weg­gehen noch in sich hinein, so sehr freut er sich, dass er diesen über­be­zahlten Stüm­pern mal gezeigt hat, wo ihre Grenzen liegen. 
Zitat: So nicht, Freunde. Nicht mit mir.“

Der Her­aus­for­derer.
Erlebt die Füh­rung seiner Mann­schaft mit größt­mög­li­cher Genug­tuung, lässt anders gesinnte Zuschauer im Umkreis bei jeder Gele­gen­heit wissen, dass von Vorn­herein klar war, dass seine Mann­schaft die über­le­gene ist. Gra­tu­liert ihnen groß­spurig dazu, dass sie noch nicht mehr Gegen­tore kas­siert haben („Ehr­lich, hätt’ ich euch nicht zuge­traut, diesen Kämp­fer­in­stinkt“). Pro­vo­ziert die anderen in einem letzten großen Schlussakt damit, dass er die Partie vor­zeitig für gelaufen erklärt. 
Zitat: Tschüs dann, Leute, ich bin weg. Das Ding ist doch durch.“

Der Spieß­bürger.
Ist bereits drei Stunden vor Anpfiff mit seinem frisch gewachsten Opel oder Audi ange­reist, damit er in Fuß­weite des Sta­dions einen Park­platz bekommt. Ver­lässt seinen Sitz spä­tes­tens in der 85. Minute, um dem Fan-Fuß­volk keine Gele­gen­heit zu geben, beim Nach-Spiel-Gewimmel die nagel­neuen Felgen zu ram­po­nieren. Seufzt auf dem Auto­bahn-Zubringer erleich­tert auf, dass er und sein Auto unver­sehrt davon­ge­kommen sind. Wird aber lei­chen­blass, wenn dann im Radio doch noch Tore ver­meldet werden. 
Zitat: Hab noch einen Termin.“


Der Wirt­schaf­tende.
Liebt Live-Fuß­ball, kann aber War­te­zeiten nicht aus­stehen. Zitiert mit ver­läss­li­cher Regel­mä­ßig­keit Horaz’ Carpe Diem“ und refe­riert unge­beten über Arbeits­ef­fi­zienz. Schlangen vor der Geträn­ke­be­cher­rück­gabe oder Staus auf dem Park­platz ver­ab­scheut er min­des­tens so sehr wie das Sit­zen­blei­ben­müssen nach Lan­dung des Flug­zeugs. Nimmt ein ver­passtes Tor des­halb gern in Kauf, wenn dafür freie Aus­gänge winken.
Zitat: Man muss ja alles im Ver­hältnis sehen.“

Der Aus­wär­tige.
Genießt es unge­heuer, mit­ten­drin zu sein, wohnt aber auf dem Lande, weil seine Frau nicht möchte, dass ihre Kinder in einer abgas­ver­pes­teten Umge­bung auf­wachsen. Hat ver­spro­chen, die Kleinen ins Bett zu bringen, und muss des­halb den Regio­nalzug kriegen. Grölt in der ersten Halb­zeit lauter als alle anderen und macht richtig Party, um sich dann eine Vier­tel­stunde vor Abpfiff heim­lich raus­zu­schlei­chen. Mit einem letzten, sehn­süch­tigen Blick auf den Platz und hän­gendem Kopf zurück in sein anderes Leben. Zitat: Meine Familie braucht mich.“

Der Eventfan.
Geht zum Fuß­ball, weil er a) guten Fuß­ball sehen oder b) seinem Sohn eine Freude machen möchte, nicht, weil er einer der spie­lenden Mann­schaften anhängt. Beson­ders ver­breitet ist diese Spe­zies vor allem in der Münchner Arena, wo bei einem 5:1‑Sieg zehn Minuten vor dem Ende schon rund ein Viertel der Besu­cher auf dem Heimweg ist, weil die Partie auf­grund ihrer Ein­sei­tig­keit nicht aus­rei­chend Span­nung geboten hat. Falls doch, bricht der Eventfan auch schon mal früher auf, weil es mit der Gattin anschlie­ßend noch zum Klas­sik­abend geht. Zitat: Schreibt mir ne SMS, wenn hier noch was pas­siert!“

Der Expres­sive.
Neigt zu extremen Emo­tionen ebenso wie zum Defä­tismus. Macht beim Stand von 0:1 in der 89. Minute nach einer Flanke der eigenen Mann­schaft hin­ters Tor den Abgang aus dem Block, hält am Block­aus­gang aber an, weil der nächste Angriff rollt. Begibt sich dann, als auch der ver­pufft ist, die Treppe hin­unter, wird aber von den Schreien der anderen zurück­ge­lockt. Schwört, sobald die Nie­der­lage besie­gelt ist So schnell seht ihr mich hier nicht mehr!“ und ist zwei Wochen später doch wieder dabei. 
Zitat: Aus, alles aus.“

Der Gelang­weilte.
War lange nicht im Sta­dion und weiß jetzt wieder, wes­halb. Schätzt das Fuß­ball­gu­cken vor dem Fern­seher mit zahl­rei­chen Kissen im Rücken, mühe­losem Bier­nach­schub und Wie­der­ho­lungen in Nah­auf­nahme. Ver­misst die wit­zigen, nicht sport­be­zo­genen Anek­doten von Kom­men­tator Béla Réthy und hat das 1:0 glatt ver­passt, weil er von dem großen, bunt ani­mierten Wer­be­dis­play abge­lenkt war. Zieht mit seinem Dau­erg­ähnen im letzten Drittel eine Menge vor­wurfs­voller Blicke auf sich, bis er sich end­lich dazu durch­ringt, nach Hause zu gehen. 
Zitat: Och, naja … Wenn’s am schönsten ist, soll man auf­hören.“

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